Texte zum Werk

Maryam Motallebzadeh stammt aus dem Iran, wo sie schon mit 13 Jahren einen Kunstpreis gewann. Sie studierte, ging mit einem Reisestipendium nach Ramsar und leitete etwa 20 Jahre lang eine eigene Galerie in Teheran, wo sie 1995 und 1997 an der Biennale für Malerei des Museums für zeitgenössische Kunst und seitdem an Ausstellungen in verschiedenen europäischen Ländern teilnahm, bevor sie 1999 nach Deutschland ging. Hier studierte sie noch einmal, an der Hochschule für Künste in Bremen, und schloss mit dem Diplom ab. So weit einige wichtige Stationen ihrer künstlerischen Biographie.

 

Maria Wirth, Galerie Fineart, August 2021
Ob Malerei, Tuschezeichnung auf Papier, Installation oder Film – Maryam Motallebzadehs Kunstwerke lassen sich als eine Art Zeitzeugen verstehen – geschaffen im Bewusstsein, um bestimmte Lebenszeiten und den Einfluss bestimmter gesellschaftlicher und politischer Umstände, die das Erleben und Denken der Künstlerin beeinflussen. Auch deshalb waren Reisen und Begegnungen mit anderen Kulturen stets eine wichtige Inspirationsquelle für ihre künstlerische Themenfindung.
Ausstellungen der gebürtigen Iranerin haben oft den Charakter von Räumen, die wie Tagebücher angefüllt sind mit Notizen und mit Spuren von Gedanken, Gefühlen und Erlebnissen aus einem bewegten Leben. Die Künstlerin hat sich, zwischen Orient und Okzident wandelnd, intensiv mit Themen wie Heimat, Identität, Sprache und dem Verhältnis von Ich und Natur beschäftigt.
Die Ausstellung „Vom Wind getragen“ steht im Zeichen des Themas Schicksal und versammelt Werke, die formal durch eine besondere Leichtigkeit und Dynamik gekennzeichnet sind. Schnell stößt man jedoch auch hier auf spannungsvolle Stellen, sei es, wo leidenschaftlich zerstäubendes Rot sanfte weiße Flächen angreift, sei es, wo das Motiv des Schleiers ein komplexes Bedeutungsfeld aus Verbergen und Aufdecken, Fremdheit und Intimität, Abweisung und Verführung eröffnet. In der Installation „Hinter dem Schleier“ arbeitet Maryam Motallebzadeh zum Beispiel mit der Symbolik, die dieses Motivs im alten Ägypten und im antiken Griechenland besaß. Dort stand der Schleier für die Scheide zwischen Leben und Tod, zwischen Täuschung und Erkenntnis, Tod und Wiedergeburt.
Einige der in der Ausstellung gezeigten Arbeiten sind während der Corona-Pandemie entstanden und betonen die aktuelle Brisanz von Fragen nach Vergänglichkeit, Ungewissheit und, nicht zuletzt: der Liebe.

 

„Ausstellung Ozeane“ im Deutschen Schifffahrtsmuseum

Sehr verehrte Damen und Herren,

ich danke Ihnen für Ihre Anwesenheit, und ich danke den Veranstaltenden dafür, dass ich anlässlich dieser Ausstellungseröffnung zur Laudatio aufgefordert worden bin.

Eine Laudatio ist eine Lobrede bzw. eine feierliche Würdigung. Und sie ist in diesem besonderen Fall der Künstlerin Maryam Motallebzadeh gewidmet, die mir in vielen Gesprächen ihre Werke erklärt hat. Auch dafür danke ich.

Man kann viel sagen, man kann zu viel sagen. Ich will nur einiges, mir Wichtiges sagen. „Hier und da“ (inja va anja) heißt einer der Titel ihrer Installationen. Das ist ganz allgemein eine Bestimmung unseres Lebens, auch eine zwischenmenschliche. Es gibt ein dort, einen anderen Ort oder ein anderes Subjekt. Und zwischen dem Hier und manchem Dort mag es oftmals eine sehnsüchtige Spannung geben, für die, die sich aus welchen Gründen auch immer wünschen, lieber hier als dort oder lieber dort als hier zu sein.

Hier zumindest befinden wir uns in einem wundervollen Gebäude des weltweit bekannten und 1893 in Bremen geborenen Architekten und Stadtplaners Hans Scharoun. Er absolvierte sein Abitur 1912 in Bremerhaven. Zur Planung des Schifffahrtsmuseums schrieb er 1970 in der Zeitschrift „Bauwelt“:

„Die Kraft des Intuitiven begleitet mich seit früher Jugend bei meiner Arbeit am Gestaltwerk. So ist es mir eine besondere Freude, das Deutsche Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven planen zu dürfen – am Ursprungsort eben jener gestalterischen Absichten, die mich ein Leben lang bewegt haben.“ Im gleichen Jahr sagte er anlässlich der Verleihung des Erasmus-Preises: „So ist es heute unser Wunsch, daß es zu keiner zu frühen Erstarrung der lebenskräftigen Bewegung, der lebendigen Wandlung kommen möge (…).“

Intuition und der Gedanke der Wandlung prägen auch das Werk von Maryam Motallebzadeh. Sie ist weniger, wie häufig erwähnt wird, eine interkulturelle Künstlerin, und sie ist auch in diesem Sinn keine Grenzgängerin zwischen den Kulturen. Das sind unzulängliche Beschreibungen. Ähnlich wie Hans Scharoun ist sie auf ihrem Gebiet eine mittlerweile international anerkannte Künstlerin, eine Künstlerin, die sich weniger an ihrer Herkunft denn an der allgemeinen Kunstgeschichte, ihrer Intuition und Intention orientiert.

Das zeigt deutlich ihre Biographie. Bereits im frühen Alter von dreizehn Jahren gewann sie einen Kunstpreis für Malerei im Iran. Diese Auszeichnung hat schon sehr früh ihren Lebensweg beeinflusst. In Teheran gründete und leitete sie in den Folgejahren eine Galerie für Kunst und Design. Sie war dort Teilnehmerin der „Biennale für Malerei“ des Museums für zeitgenössische Kunst. Nach ihrer Übersiedlung 1999 folgten zahlreiche Ausstellungen in norddeutschen Städten, aber recht bald auch auf internationaler Ebene, in Norwegen, Kanada, Thailand, in Österreich, in der Schweiz, in Frankreich, Spanien und demnächst in China.

Der Titel der zwischen den Exponaten des Schifffahrtsmuseums arrangierten Ausstellung lautet „Ogyanos“. Das ist das persische Wort für Ozean. Der Ozean ist gewiss ein Wirtschafts- und Kulturraum. Er ist aber überdies auch eine gewichtige Metapher für das menschliche Gefühls- und Seelenleben. „Ozeanische Gefühle“ nennt Maryam Motallebzadeh einige ihrer Werke. In einem Brief an Sigmund Freud spricht der Schriftsteller Romain Rolland von einem „Gefühl wie von etwas Unbegrenztem, Schrankenlosem, gleichsam ‚Ozeanischem’“. In diesem Gefühl eine Quelle der Inspiration zu vermuten liegt nahe. Es ist aber auch, wie Freud interpretiert, ein Gefühl der „unauflösbaren Verbundenheit“ mit dem Ganzen.

Die kunstgeschichtliche Herkunft der Arbeiten von Maryam Motallebzadeh ist zum Teil die monochrome Malerei, das Informel, der Tachismus. Unverkennbar hat sie jedoch auch Möglichkeiten der Photographie, des Films und der Raumgestaltung (des Environments) in ihr Werk einbezogen. Wiederkehrendes Moment ist die Schrift, mit der sie ebenso bezaubernd wie verzaubernd das Geheimnis der Differenz zwischen dem Hier und dem Dort bewegt – niemals gelöst und doch lösend.

Maryam Motallebzadeh bereichert das Kunstgeschehen unserer Zeit. In einem Gespräch äußerte sie sich zu ihrer Naturverbundenheit und begriff die Künstlertätigkeit als eine Form der Berufung, fernab von sporadischen künstlerischen Eingebungen und Beschäftigungen. Diese Auffassung mag den Begriff der Kunst und seine Allianz mit einem Lebenswerk in recht eindeutiger Weise erhellen.

Sie, verehrte Damen und Herren, werden ihren eigenen Wahrnehmungen folgen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Reiner Matzker

(Kulturwissenschaftler)

 

FREMDSEIN UND SPRACHE

Der Titel VERREIST unter dem die im Folgenden beschriebene Werkgruppe 2010 ausgestellt wurde, lässt Bilder touristisch bereister Länder erwarten. In der Fremde lebend ist man aber auch verreist, dauerhaft verreist. So beinhaltet der Titel VERREIST grundsätzliche Erfahrungen mit fremden Kulturen, die die Künstlerin für die drängenden Probleme sensibilisierten, die sich zwangsläufig aus den Migrationsbewegungen und der Globalisierung ergeben. Resultieren diese Probleme, mit denen uns die Medien täglich konfrontieren, aus möglicherweise gar nicht überwindbaren kulturellen Differenzen oder sind sie nur eine Folge der Unfähigkeit vernünftig miteinander zu reden? Diese Fragen nach interkultureller Identität und Kommunikation wurden zu einem Leitmotiv der künstlerischen Arbeit von Maryam Motallebzadeh: seitdem untersucht sie das Leben zwischen zwei und mehr Kulturen, geht davon aus, dass die Fremdheit der Kulturen vor allem ein Problem der interkulturellen Sprachlosigkeit ist und sie untersucht in verschiedenen Medien: Zeichnung, Malerei, Performance und Film, Möglichkeiten der Überwindung von Fremdheit.

So arbeitet Maryam Motallebzadeh an der Auflösung des Normativen und Ausgrenzenden der Schrift, indem sie Farsi in ihren Bildern als das einsetzt, was die persischen Schriftzeichen für alle sind, die die Sprache nicht lesen können: nicht Botschaften, sondern reine, reitvolle Formen, deren Grundelemente – wie im Arabischen – die geschwungene Linie und der Punkt sind. Die Malerei gibt der fremden Schrift mit verschiedenen Strategien einen Sinn: So kann der Betrachter in dem Bild mit den Zeichen, die unter einem kräftigen, einem zornigen Rot durcheinander wirbeln, leicht auf das Motiv einer gescheiterten Kommunikation schließen.

In den Bildern mit Farbfeldern von kräftigem Rot und Grün treffen die beiden Komplementärfarben unvermittelt aufeinander und gehorchen den Farbgesetzen indem sie sich gegenseitig steigern. Dass zwei Komplementärfarben sich aber auch gegenseitig vernichten können, deutet sich dort an, wo Rot und Grün sich überlagern: in der Mischung würden sie in einem schmutzigen Braungrau untergehen. Der farbliche Widerspruch von Steigerung und Vernichtung, wird zu einem Gleichnis für alle denkbaren Spannungen und Konflikte.

BLÖCKE

Diese spannungsvollen Farbfelder stehen in Zusammenhang mit dem Motiv der „Blöcke“, der Rechtecke, dem Maryam Motallebzadeh eine ganze Serie widmete und auf das sie immer wieder zurückkommt wie auf ein noch ungelöstes Problem.

Anders als die Spirale, die in ihrer perfekten Form von einem Reißbrett zu stammen scheint, aber auch ein konstruktiv perfektes Produkt der organischen Natur ist, kommt das exakte Viereck in der Natur nicht vor – es steht ihr im Widerspruch. In allen höheren Zivilisationen ist das Viereck die alles dominierende Form – auch in den Bildformaten der freien Kunst. Das Viereck ist der Inbegriff von Stabilität, Strukturierung und Ordnung. Diese Phänomene sind äußerst widersprüchlich, denn Ordnungen können einerseits Orientierungshilfen sein, andererseits Gefängnisse der Normierung. Dieser Konflikt und seine Überwindung lässt sich mit einem historischen Beispiel der Begegnung von Wissenschaft und Kunst beschreiben:
Am Ende des 18.Jh. wurden im Rahmen meteorologischer Studien die Wolkenformen von Luke Howard mit den bis heute gültigen Begriffen beschrieben: Stratus, Kumulus, Cirrus, Nimbus, und diese Klassifizierung wurde von Goethe so begeistert aufgenommen, dass er Caspar David Friedrich bat, ihm davon ein Bild zu malen. Während Friedrich sich weigerte, die so wunderbar freien Wolken in eine Ordnung zu zwingen, schrieb Goethe das Gedicht Howards Ehrengedächtnis, worin es ihm gelang den Gegensatz von Ordnung und Freiheit durch Poesie zu überwinden, als er alle Wolkenformen in nur einer Zeile des Gedichts zusammenfasste ohne sie zu benennen: Wie Streife steigt, sich ballt, zerflattert, fällt.

In ähnlicher Umformung des Konkreten in die Poesie der abstrakten Formen und Farben schafft Maryam Motallebzadeh in jedem ihrer Bilder, mit einem oder mehreren Blöcken, einen Ausgleich zwischen Ordnung und Freiheit: indem sie Kompositionen von unregelmäßigen, unscharf konturierten Rechtecken und Quadraten in mehr oder weniger regelmäßiger Reihung und in lebhaften Farben mit frei fließenden Verlaufsspuren in das genormte Format der Bildfläche setzt: innerhalb dieses Rahmens wird seine Auflösung diskutiert, ohne dass die Bildgrenzen überschritten werden. In diesem Sinne ist in dem Bild Der gelbe Block der Konflikt von Freiheit und Norm als Spannung zwischen einem lebhaft strukturierten Farbraum und dem am Bildrand sich trotzig behauptenden, grell gelben Block auf die Spitze getrieben.

In solchen Abstraktionen ist der Konflikt zwischen Freiheit und Gesetz grundsätzlich formuliert: Hier geht es nicht mehr – wie bei den Wolken – um den Widerspruch von Natur und Ordnung, sondern um den zur Zeit von Goethe und CDF zum ersten Mal allgemein bewussten Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft, der nicht nur bis heute, sondern heute erstrecht ungelöst ist, wo alle Wertesysteme brüchig sind und die Globalisierung kulturelle Identitäten gefährdet. Vor diesem Hintergrund ist die Frage des Verhältnisses von Individuum und Gesetz, von Chaos und Struktur für Maryam Motallebzadeh ein Leitthema, das sie malerisch kommuniziert, nicht nur, weil es sie bewegt, sondern weil es alle angeht.

LANDSCHAFTEN

WOLGA

Machen wir uns jetzt auf die Reise an so unterschiedliche Orte wie ein im Frühling erblühtes Marokko und ein sonnenverbranntes Namibia, in das relativ naturnahe Geflecht der Spreearme und auf den mächtigen gestauten Strom der Wolga.

Wie klein der Mensch auf diesem weiten Fluss ist, thematisiert das Bild Erinnerung an die Wolga. Die schlichte Größe und Behäbigkeit des größten Flusses Europas provozierte ruhige und in der Wirkung monumentale Bilder von unergründlicher Tiefe.

Die waagerechte Spur des Pinsels, die wie die Spur eines Schiffes im Wasser im Blau des Bildes liegt, hat die Mitte noch nicht ganz erreicht und scheint mit den herunterlaufenden
Tropfen an Fahrt zu verlieren: damit ist auch die dem Temperament von Maryam Motallebzadeh widersprechende Langsamkeit gemeint, mit der sich das Schiff ihrer Reise dem trägen Fließen des Stromes anpasste.

In dem Bild mit dem Titel Der goldene Ring ist die Wolga in Moskau angekommen: „Goldener Ring“ heißt der Teil des Flusses, der sich um die Stadt legt. Hier hat die Wolga des Bildes feinere Strukturen und sehr differenzierte Grün–Blau–Töne, monumental wirkt sie dennoch durch das über die Bildgrenzen hinausweisende waagerechte Strömen der Farben und Formen.

SPREE

Wie anders sind dagegen die „Spreebilder“: in das Über- und Ineinander mehrerer Malschichten flossen gleichsam die pflanzlichen Strukturen hinein, die sich unter dem Wasserspiegel andeuten und auf dem Wasser schwimmen und die Spiegelungen von Uferpflanzen. Die Farben reflektieren das Grün, den Schlamm, den Nebel und das Dunkel der Baumschatten. Bei genauem Hinsehen fällt auf, dass eine fein verästelte Struktur von Fließspuren fast jedem dieser Bilder unterlegt ist. Diese Grundierung hat für Maryam Motallebzadeh eine symbolische Bedeutung: die Tropfen verdünnter Farbe, die kontrolliert (sie nennt es „den Tropfen einen Weg zeigen“) über die ganze Bildfläche fließen, erinnern mit ihrem Verlauf, durch die Farbe Blau und schließlich mit der Assoziation des Begriffs „Wasseradern“ an das Bild von Venen unter der Haut: so überschneiden sich metaphorisch die Leben spendenden Netze von Wasser und Blut, die für Maryam Motallebzadeh auch Symbole für soziale Vernetzungen sind, die sie sich als vitale Verbindungen zwischen den Kulturen wünscht.

In dieser Weise verdichtet sich die landschaftliche Impression unter dem besonderen Blickwinkel der Künstlerin zu ihrer „Kulturlandschaft“. Auch Naturerfahrung ist kulturell geprägt und so entsteht in jedem Landschaftsbild – unabhängig vom Motiv – eine Art „Kulturlandschaft“, worin die Künstlerin schließlich mit sich selbst konfrontiert ist. In diesem Sinne ist für Maryam Motallebzadeh die Reise, das Fahren durch die Landschaft, wie für jeden der reflektiert unterwegs ist, nicht nur ein „Erfahren“ neuer Eindrücke, sondern auch, im Abgleich mit dem Fremden, eine Reise zum eigenen Ich, ein Weg der Selbsterfahrung.

NAMIBIA

Die nächste Station ist Namibia, dessen Name sich von der Wüste Namib, der erdgeschichtlich ältesten Wüste der Welt ableitet und als Name gewählt wurde, um die vielen verschiedenen Kulturen der Republik Namibia unter einem für alle akzeptablen Namen zu vereinen.

Namibia ist ein trockenes Land: Von seinen vielen Flüssen führen nur zwei ganzjährig Wasser, womit das Bild des ausgetrockneten Flussbettes ein typischer Aspekt der Landschaft ist, den Maryam Motallebzadeh in ihrem Bild Schmerzen der Erde in Namibia in einen wüstenfarbenen Erdhaufen übersetzte, dessen Farbe mit Sand, etwas Zement und reichlich Pigmenten so angereichert wurde, dass bei der Trocknung Erosionsstrukturen entstanden. Den kahlen Berg überspannt ein gelbliches Weiß, das zu verdampfen scheint. Das war ein „schmerzhafter Ort, an dem wütende Pflanzen wachsen“ sagt Maryam Motallebzadeh. Solche Impressionen verwundern bei einem Land der Wüsten nicht und werden durch den Gedanken an die grausame Kolonialgeschichte (Genozid der Deutschen an den Herero) forciert. Und als wolle Maryam Motallebzadeh die Schmerzen des Landes mildern, arbeitete sie eine symbolisch gemeinte Mullbinde in den oberen Rand des Bildes ein.

In einer weiteren Namibia-Landschaft, Namibia trifft auf den Atlantik, schaut Maryam Motallebzadeh wie aus einem Flugzeug auf eine der extremsten Regionen Namibias, die sich über die ganze Länge des Landes erstreckt, das mehr als doppelt so groß ist wie Deutschland. Hier trifft die heiße Landmasse der Namibwüste auf die Kälte des Atlantischen Ozeans: die Malerei übersetzt dieses geographische Extrem in den Kalt–Warm–Kontrast der Farben Ocker und Blau.

MAROKKO

Obwohl auch Marokko ein Wüstenland ist, erlebte Maryam Motallebzadeh dieses Land wie einen Garten: mit Mohnblumenfeldern, mit einer heiteren Farbpalette auf der leuchtender Ocker zwischen Gelb und Orange und ein ebenso leuchtendes Blau vorherrschen. Wie bei den Wasserlandschaften wählte sie auch hier jeweils einen engen Ausschnitt: das Segment eines Blumenfeldes oder die Wand eines Hauses, das man als solches nur an den Farben und den typischen kleinen Wandöffnungen erkennt. Wenn man in dem Bild Tuareg in Marrakech die Farbfläche als Haus erkannt hat, gelingt es auch in dem breiten blauen Pinselstrich vor der Wand einen Tuareg in seiner üblichen Landestracht zu sehen. Details der Hassan-II-Moschee in Casablanca und Elemente der Berberschrift Tifinagh, die als geometrische Zeichen künstlerisch besonders reizvoll sind, sind weitere Motive Marokkos, die Maryam Motallebzadeh zu eigenen Abstraktionen inspirierten.

REDUKTION

Maryam Motallebzadeh zeigt weniger Bilder einer Landschaft, als sie Landschaften durch Nahsicht und Konzentration auf wesentliche Details suggeriert. So wie das tiefe ruhige Blau den großen Strom, die Spiegelungen von Pflanzen das naturnahe Gewässer, der Erdhaufen die Vorstellung von Wüste hervorrufen, so genügen bestimmte Farben um Erinnerungen an Bilder Nordafrikas zu wecken. Was natürlich nur funktioniert, weil uns in einer mit konkreten Bildern übersättigten Welt fast nichts mehr fremd ist. Unter anderem aus diesem Grund kann die Malerei gar nicht anders vorgehen, als in der beschriebenen Weise Naturbilder zu Essenzen zu „verdichten“: um den vielen verschiedenen Bildern in den Köpfen zu entsprechen und etwas entgegenzusetzen. Gerade die auf Abstraktionen reduzierte Malerei kann mit wenigen erkennbaren Elementen die Vorstellungskraft des Betrachters herausfordern zu einem aktiven, mitgestaltenden Sehen. Wir brauchen diese Anregungen um visuell sensibel zu bleiben.

ZEIT

Maryam Motallebzadeh versteht die Reduktion auf Segmente von Landschaften nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich, denn die Betrachtung einer Landschaft ist ein Prozess, eine Reise ist eine Zeit der fließenden neuen Bilder. Nimmt man ein Segment aus dem Fluss der Bilder heraus, dann fixiert man gleichzeitig – wie mit dem Standbild eines Films – einen Moment, dessen Länge proportional scheint zur Größe des Ausschnitts: also je näher der Blick auf ein Detail der Landschaft ist, umso kürzer scheint der Moment. Mit den engen Ausschnitten aus dem Bilderfluss der Landschaftserlebnisse verweisen diese Reisebilder also auch auf das Verrinnen der Zeit. Das Traurige an einer Reise ist ja, dass sie so schnell vergeht und dadurch jedesmal an die Vergänglichkeit des Lebens erinnert.

Regina Gramse

(Kunsthistorikerin)

 

Nähte und Annäherungen

Februar 2012

Mit einem Tschador bekleidet, lässt sich Maryam Motallebzadeh vor dem Altartisch des Bremer Doms fotografieren. Das Tuch ist mit Versen des persischen Dichters Hafiz beschrieben. Darin geht es um die Hoffnung am Anfang der Liebe und die Lasten in ihrem Verlauf. Ein schöner Klang im Original, ein schönes Schriftbild in ornamentalen Rhythmen und den Farben der iranischen Flagge.

Auf der Fotografie hat die Künstlerin Flächen der Kirchenarchitektur bemalt, das Muster des Mauerwerks zeichenhaft verstärkt, Wörter hinzugefügt. Allah zum Beispiel, Gott. Für sie haben Islam und Christentum den selben Gott. Ihr Name, Maryam, ist das Pendant zu Maria. Der Gang in die Kirche mit der Bekleidung der Muslima ist für die Perserin ein symbolischer Akt für die Annäherung der Religionen.

Seit 13 Jahren lebt Maryam Motallebzadeh in Bremen. Sie studierte dort an der Hochschule für Künste. In ihrem vielschichtigen Werk – Malerei, Grafik, Installation und Film – reflektiert sie die Lebenswirklichkeit in ihrer Heimat und schlägt Brücken zwischen den Kulturen. Im Sinne Goethes, der den Austausch zwischen Orient und Okzident als Befruchtung für beide Kulturkreise verstand, begegnen sich in ihren Werken die beiden Welten. Dabei stellt sie häufig ihr eigenes Ich, ihr Empfinden und Selbstverständnis in das Zentrum ihrer Bilder und Inszenierungen.

Warum die Arabeske als Vorläufer der Abstraktion, die Kalligraphie als Wegbereiterin des freien Linienschwungs gilt, dokumentieren ihre Arbeiten auf höchst sinnfällig Weise. Zugleich hat Maryam Motallebzadeh eine eigene Bildsprache mit sinnbildlichen Formen ausgebildet, die existenzielle und kompositorische Grundfragen zugleich reflektieren. Blockartige Formen zeigen sich als Lebensstationen und Ordnungselemente, korrespondieren reibungsvoll mit Linien und Punkten und deuten so auf Wechselfälle von Daseinsherausforderungen und Orientierungsversuche hin. Dabei erinnern sie an Architekturen, an konkrete und mentale Behausungen.

Die Farben besitzen symbolische Bedeutungen, lassen politische Bewegungen und Ereignisse assoziieren, schließen zugleich aber an Naturerscheinungen an und besitzen eine hohe eigenständig malerische Qualität. Häufig trägt die Künstlerin das Material in vielen Schichten auf, lässt Untergründiges, Verdecktes, Verborgenes durchscheinen oder kratzt und schabt in die Oberfläche hin, ein Akt, der das Unruhepotenzial in ihrer Kunst verdeutlicht. Sie näht deutsche Wörter auf ein Tuch mit persischer Schrift. Im Treffpunkt beider Sprachen hat sie ihre geistige Heimat gefunden. Geknotete Bänder verweisen auf die Hoffnungen und utopischen Anteile in ihrer Kunst: auf die Verbindung der Kulturkreise, zwischen denen sie sich bewegt, auf die Glückserfüllung in der wechselseitigen friedvollen Bereicherung.

Dr. Reiner Bessling

Kunsthistoriker

 

Wer ist Maryam? Wer ist Maria?

Zur Ausstellung (Evangelischen Akademie Loccum)

Reich mir o Schenke das Glas, Bringe den Gästen es zu, Leicht‘ ist die Lieb‘ im Anfang, es folgen aber Schwierigkeiten.

Mit einem Tschador bekleidet, der die Verse des persischen Dichters Hafez trägt, lässt sich Maryam Motallebzadeh vor dem Altartisch des Bremer Doms fotografieren. Das Tuch besitzt ein reizvolles Schriftbild in ornamentalen Rhythmen und den Farben der iranischen Flagge. Es lässt aber auch den Konfliktstoff spüren, der in der Poesie selbst anklingt.

Auf der Fotografie bemalt die Künstlerin Flächen der Kirchenarchitektur. Das Muster des Mauerwerks verstärkt sie zeichenhaft, ornamental. Wörter treten auf. Allah zum Beispiel, Gott. Für die Künstlerin haben Islam und Christentum den gleichen Gott. Zugleich schwingt aber auch der imperiale Anspruch der Religion in diesem sakralen Graffiti mit. Der Glaube ist mit Machtanspruch getränkt, ließe sich hieraus lesen, Glaube ohne Liebe und Toleranz ist zerstörerisch.

Ihr Name, Maryam, ist das Pendant zu Maria. Der Raum der Bremer Kirche gewinnt ein anderes Gesicht und eine andere Atmosphäre. Es scheint, als würden die Architekturen verschiedener Kulturkreise verschmelzen. Der Gang in den Dom mit der Bekleidung der Muslima ist für die Perserin ein symbolischer Akt für die Annäherung der Religionen. Sie ist aber auch ein Verweis auf das Reibungspotential, das diese Begegnung in sich trägt.

Seit 15 Jahren lebt Maryam Motallebzadeh in Bremen. Sie studierte dort an der Hochschule für Künste. In ihrem vielschichtigen Werk – Malerei, Grafik, Installation und Film – reflektiert sie die Lebenswirklichkeit in ihrer Heimat, verarbeitet das Leben in einer neuen Kultur und schlägt Brücken zwischen beiden. Dabei stellt die Künstlerin häufig ihr eigenes Ich, ihr Empfinden und Selbstverständnis in das Zentrum ihrer Bilder und Inszenierungen.

Auch in der Kapelle hier in Loccum ist ein Foto entstanden, in dem sich die Künstlerin inszeniert. Wir sehen sie in einen Plastikumhang gehüllt, sie trägt ein Kleid mit Rosenabbildungen. Der Kunststoff steht für eine Puppe, die man nicht unbedingt mögen muss. Dass Barbie-Puppen im Iran verbrannt worden sind, lässt das Spielzeug allerdings in einem anderen Licht erscheinen. Der aggressive Akt gegen ein Produkt der westlichen Kultur dürfte vor allem den betroffenen Kindern Schmerz zugefügt haben.

Die beiden Fotografien verweisen auf zentrale Elemente im Werk von Maryam Motallebzadeh: die Bekleidung, die Architektur, die Schrift. Und sie lassen bereits den Pendelschlag erkennen, der ihren Gang zwischen den Kulturen künstlerisch zum Ausdruck bringt. Das sind Figur, Gegenstand, Sprache auf der einen Seite und da sind die freie Linie, die allein kompositorischen Gesichtspunkten verpflichtete Form, die reine Farbe. Aus diesem Spannungsverhältnis beziehen die Arbeiten ihre Energie und auch ihren sinnbildlichen Mehrwert.

Kleider besitzen eine Sprache. Sie sprechen von Traditionen, sozialen Einbindungen, von Einstellungen und Haltungen. Sie setzen Signale in der Begegnung von Menschen, sie werden, wie wir wissen, vielfach zum Politikum„Der Mantel schweigt. Das ist seine Sprache“, heißt es in einem Beitrag zu einer Ausstellung der Künstlerin. Und weiter: „Alle Mäntel schweigen. Doch sein Schwiegen ist ein besonderes Verstummen. Es ist das Schweigen der verordneten Verstummung. (…) In ihm stecken verletzende Splitter.“ Der Mantel spricht aber auch. In der Schutz suchenden oder abschirmenden Verhüllung wirkt er wie ein zu beschreibendes Blatt, bietet er uns eine Projektionsfläche.

Schrift finden wir im Werk der Wahlbremerin auf vielen Trägermaterialien: auf Wänden, Stoffen, auf dem Körper, auf Papieren, in Gemälden. Das Schreiben begleitet sie in Tage- und Skizzenbüchern: ein Protokollieren der Außenwelt und eine Selbstvergewisserung. Das Schreiben in ihren beiden Sprachen, von rechts und links, lässt sich wie ein symbolischer Akt des Aufeinander-Zugehens aus verschiedenen Richtungen sehen: Konfrontation und Annäherung zugleich, Verständnis, aber auch Missverständnis. Fehler werden mit aufgenommen, sie gehören zu einer Existenz zwischen den Kulturen und zum interkulturellen Dialog. Sie verweisen auf das Potential des Anderen, aus dem sich Neues schöpfen, aus dem sich unendlich viel lernen lässt. Sie verweisen aber auch auf die Mühe, die Verstehen und Verständnis erfordern.

Auf einem großen Tuch lässt sie die persische Schrift und deutsche Wörter aufeinandertreffen. Die deutschen Wörter treten als grüne Stoffapplikationen auf. Die Farbe ist, unschwer entzifferbar, ein politisches Symbol. Der zarte grüne Stoff ist aufgenäht. Diese Form des Zusammenschlusses ist nicht zufällig gewählt. Das Nähen ist ein fundamentaler, archaischer, handwerklicher, eine körperlicher Akt, in dem, wenn man so will, ein Linienschwung wie im Schreiben noch nachklingt. Dazu trägt das Tuch den Knoten als religiöses Element, aber auch profan als Sinnbild einer Verbindung. Beim Zuknoten werden gute Wünsche auf den Weg gebracht, beim Aufknoten geht ein Wunsch in Erfüllung.

Mal ist Schrift zart, licht und luftig aufgebracht, mal überschwemmen Buchstaben die Flächen, verletzen feines Papier, fühlen sich da wie Tattoos an, dort wie Manifeste. „Nichts, nichts“. „Ich, ich“ sind knappe, aber prägnante Botschaften und Aufschreie. Manchmal ist Schrift in die obere Malschicht hinein gekratzt, ein feuriges Rot wird aus der grünen Oberfläche herausgeschält. Farben, die im Kontrast zueinander stehen. Materialien treffen aufeinander, die eigentlich nicht zusammengehören: Öl und Wasser. Konflikt, Aggression, Wut und Verzweiflung werden so auch stofflich und physisch spürbar.

Vieles spielt sich untergründig ab, was sich positiv und negativ konnotieren lässt.

Nicht alles kann ergründet und nicht alles darf ausgesprochen werden. Kunst kann an Ahnungen anschließen und erhellt auch durch Verbergen oder Überlagern.

Viele der Bilder, die wir hier sehen, sind in vielen Schichten aufgebaut. Darin spiegeln sich Wege der Annäherung an Thema, Motiv und Komposition, aber auch ein Abwägen des abschließenden Ausdrucksgehaltes. Buchstaben, Zahlen, Daten werden übermalt, verschwinden in einem prägnanten Bild hinter einem naturnahen Rankenwerk, das an Efeu erinnert, oder hinter vertikalen Linien, die ein Gitter assoziieren lassen. Das malerische Dickicht lässt sich als Sinnbild für die Zeit lesen, die sich über die Ereignisse legt, für den unaufhaltsamen und nicht gänzlich zu steuernden Fluss der Dinge, für ein organisches Wachstum, aber auch für ein bewusstes Verschließen, Verschleiern oder Verschlüsseln.

Wenn Schriftzeichen wie Wolkenbänder erscheinen, wenn sie als grafische Momente zwischen Figur und Abstraktion auftreten, als Richtung weisende dynamische Elemente, als Gliederung der Fläche, dann wird gerade in diesen Arbeiten sinnfällig, warum die Kalligraphie als Wegbereiterin des freien Linienschwungs, warum die Arabeske als Vorläufer der Abstraktion gelten kann.

Für ein Denken und Gestalten zwischen Polen und in Kontrapunkten, aber auch in Verknüpfungen und Netzwerken hat die Künstler ein eigenes Repertoire an Formen entwickelt, das sie vielfach variiert.

In einem Triptychon finden sich die Farben der iranischen Fahne wieder. Rot und Grün besitzen darüber hinaus noch andere symbolische Werte, die die politische Besetzung überblenden: Natur und Blut, Wachstum und Liebe, Schöpfung und Energie.

Grüne Linien beschreiben hier einen welligen Verlauf, umgeben sind sie von unorganisierten Punktmengen. Darunter liegen, erst auf den zweiten Blick erkennbar, blockartige Gebilde. Fließendes, Flüchtiges und Festes begegnen sich in einer eher offenen, unbestimmten Korrespondenz. Bewegung und Fixierung treten als Pole auf. Hierin spiegelt sich das Credo und ein zentrales Thema der Künstlerin: Bewegung ist das Veränderliche, auf das wir uns immer neu einstellen müssen. Die Gegenbewegung ist das Feste, an dem wir uns orientieren können. Die Blöcke unter dem Fluss repräsentieren das Bedürfnis nach Ordnung, Übersicht und Systematisierung.

Solche Rechtecke treten auch in architekturnahen Kompositionen auf, die auf unterschiedlichste Impulse zurückgehen und verschiedenste Assoziationen wecken. Ein Fensterbild hat einen biographischen Hintergrund. Eine kleinteilige Feldform schließt an einen Blick an, der die Künstlerin ihre Kindheit hindurch begleitet hat: das Fenster im Haus der Großmutter, en prägendes visuelles Erlebnis. Ein schönes Beispiel für die Rolle der Fenster als Augen eines Hauses, das auch eine emotionale Heimat darstellt. Zugleich lassen sich mit der Gitterstruktur aber auch weniger freundliche Gebäude assoziieren. Dass diese Bilder aber auch als freie Farbfeldmalerei gelesen werden können, spricht für die Künstlerin.

Dass manche Bilder durch Teppiche von Nomaden angeregt worden sind, muss man nicht wissen, um sie mit Gewinn und Genuss zu betrachten, ihre abstrahierte Naturmotivik oder archaische Geometrie, ihre Anmutung natürlicher Stofflichkeit, die an die ursprüngliche Gewinnung von Farbe und Material anschließt. Mit diesem Wissen allerdings werden sie zu Belegen einer fruchtbaren Aneignung. Für eine solche Rezeption aus der Annäherung und Auseinandersetzung heraus, aus dem Leben in und zwischen zwei Kulturen, steht das Werk von Maryam Motallebzadeh. In ihm verbindet sich ein kritischer interkultureller Austausch und ein Dialog der Kunstsprachen auf inspirierte und anregende Weise. Besonders spannend für mich, wie sich darin das Verhältnis von Figur und Abstraktion, von Schrift und Linie in ihren unterschiedlichen Zeichengehalten spiegelt.

Dr. Reiner Bessling

Kunsthistoriker

 

Keine Gelegenheitskunst!

Der Film „Bibi Shahrbanu“ von Maryam Motallebzadeh

Soweit Maryam Motallebzadeh über ihre Kunst spricht, löst sie sich nicht von den Faktoren ihrer Entstehung. Mit bewegten Gedanken reagiert sie auf die von ihr immer wieder auch schöpferisch wahrgenommenen Gegebenheiten. Sie hat in vielen Ländern gearbeitet und ihre Werke gezeigt. Es scheint, als suche sie nach einer die Kulturen übergreifenden schöpferischen Sprache: einer Sprache, deren Konventionen noch zu erschließen, deren Strukturen längst nicht vertraut sind und deren Deutungen notwendig offen bleiben.

Der in Teheran aufgenommene Film „Bibi Shahrbanu“ ist ein bemerkenswertes Beispiel des Versuchs, nicht im herkömmlichen Sinn Filmkunst zu betreiben, sondern eher künstlerisch einen Film zu gestalten. Der 15minütige Film erzählt auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Eine Frau in einem Auto beginnt, eine alte persische Geschichte zu erzählen. Es ist die Geschichte von Bibi Shahrbanu. Als die Araber im Krieg gegen den Iran die Königstochter Bibi Shahrbanu erbeuteten, die Tochter von Yazdgerd dem Dritten, unterwirft sich diese dem jungen Imam Hussein. Sie heiraten, und er zieht mit ihr fort. Viele Jahre verbringen sie in seiner Heimat, bis Hussein in Kriegshandlungen verwickelt wird. Bibi Shahrbanu flieht in den Itran und verbirgt sich in den Bergen in einer Höhle. Dort stirbt sie. In einer kurzen Inszenierung macht Maryam Motallebzadeh das Glück zwisch Bibi Shahrbanu und Imam Hussein deutlich. Die vier in dem Auto sitzenden Frauen sprechen über das Geheimnisvolle der Geschichte. Eines Tages soll eine Karawane die Höhle aufgesucht haben. Die Tochter eines indischen Geschäftsmannes war unter den Reisenden. Als sie die Nacht in der Höhle verbringt, träumt sie von Bibi Shahrbanu. Bibi Shahrbanu spricht zu ihr und bittet sie um die Errichtung eines Grabmals. Die Inderin ist von ihrem Traum und den Worten Bibi Shahrbanus derart ergriffen, dass sie ein Grabmal im indischen Stil erbauen lässt. Noch heute versammeln sich die Leute an diesem Ort in Südteheran. Auch die vier Frauen in ihrem Auto befinden sich auf dem Weg dorthin. Auf der Karte steht: Shah Abdolazim. Der Berg, in dem sich die Höhle befindet heißt Kuh-e Ray. Aber er wird noch immer Kuh-e Bibi Shahrbanu genannt. Der Ort ist ein religiöses Ausflugsziel. Männer und Frauen reinigen sich getrennt. Dann essen sie gemeinsam, Sie verknoten Bänder vor dem Abbild von Imam Hussein oder heften Steine an die Wände der Höhle. Sie hoffen, dass ihre Wünsche erfüllt werden. Man trifft sich, lernt sich kennen, redet miteinander. Es heißt, Liebespaare verabredeten sich heimlich. Mythisches und Alltägliches verbinden sich in ebenso merkwürdiger wie vertrauter Allianz.

Prof. Dr. Reiner Matzker

Kunst und Kulturwissenschaftler

 

„Diesseits des Schleiers“

Zur Eröffnung der Ausstellung am 1. Dezember 2013

Galerie Brunnenhof, St. Joseph-Stift

Wer ist Maryam Motallebzadeh? Was macht sie?

Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, denn ihre künstlerischen Arbeiten sind vielschichtig und sie selbst ist eine facettenreiche Persönlichkeit.

Maryam Motallebzadeh ist

– Malerin,

– Keramikerin,

– Bildhauerin,

– Filmerin,

– Performance-Künstlerin,

– sie ist Perserin,

– sie ist auch Deutsche,

– sie ist eine Reisende – oder eine weit Gereiste,

– eine Botschafterin zwischen den Kulturen,

– und sie ist ein politischer Geist.

Geboren wurde sie im damaligen Persien, noch vor der islamischen Revolution, und bereits mit 13 Jahren gewann sie in Teheran ihren ersten Kunstpreis. Später studierte sie Malerei, arbeitete als Künstlerin und Galeristin, bis sie 1999 nach Deutschland kam.

In Bremen schrieb sie sich an der Hochschule für Künste für ein zweites Studium ein und studierte bei den Professoren Peter W.Schaefer und Paco Knöller.

Bei aller Vielseitigkeit ihrer Kunst ist Maryam Motallebzadeh vielleicht doch am stärksten Malerin.

Von ihren malerischen Arbeiten sind in der Galerie Brunnenhof zwei Werkkomplexe zu sehen, die „Reisebilder“ und eine Serie mit sogenannten „Block-Bildern“.

Eines der faszinierendsten Gemälde ist sicherlich die „Erinnerung an die Wolga“. Wenn wir uns dieses Bild genauer ansehen, stellen wir fest, dass es letztlich nur aus drei Elementen besteht: es sind zwei übereinander gelegte Farbflächen und eine Linie – sonst nichts. Es ist ein fast völlig abstraktes Bild aus drei Elementen, es gibt keinerlei realistische Abbildung, es ist nur eine Chiffre, aber diese Chiffre hat eine verblüffende Wirkung: indem wir diese malerischen Zeichen ansehen, entsteht in unserem Kopf ein Bild – und das ist erstaunlicherweise völlig realistisch. Man steht auf einem hohen Ufersaum, vor dem Betrachter breitet sich in dunstigem, blauen, wassergesättigten Licht der gewaltige Strom der Wolga aus. Ein so gewaltiger Fluss, dass er das gesamte Blickfeld ausfüllt, es ist alles nur eine einzige riesige, ruhig fließende Wasserfläche. Und ganz weit hinten, so weit weg, dass keinerlei Geräusch mehr zu hören ist, sieht man im trägen Strom die Spur eines Schiffes, vom Wind und der Strömung teilweise schon wieder verwischt. Der Strom ist so breit, dass das Schiff sich wie im Zeitlupentempo zu bewegen scheint, eine ganz kleine, lautlose Bewegung.

Auf dem Gemälde ist kein Fluss, kein Ufer, kein Schiff, aber im Kopf des Betrachters wird ein Bild, ja geradezu ein Film erzeugt – das ist große Kunst!

Ähnlich funktionieren auch die anderen Arbeiten der „Reisebilder“.

Auch im „Spreewald“ finden sich keine Abbildungen von real existierenden Landschaftspartien, aber Maryam Motallebzadeh gelingt es, den Charakter der Landschaft in komprimierter Form auszudrücken: es geht um einen düsteren, feuchten Wald, ein bisschen bedrückend, aber auch voller Blumen. Ein Landschaftsbild, vielleicht – wie ja fast jedes Landschaftsbild – auch eine Seelenlandschaft, eine Lebensstimmung. Diese Malerei lässt viele Assoziationen und Deutungen zu.

Ganz anders der Charakter der Landschaft in Namibia und hier zeigt sich, dass Maryam Motallebzadeh genau so mit Worten umzugehen weiß. Sie beschreibt an einer Stelle die Wüste von Namibia als „ein heißes Land, bewohnt von wütenden Pflanzen“. Eine großartige Komprimierung, genau wie ihre Bilder! Wenn man diesen einen Satz hört, „ein Land, bewohnt von wütenden Pflanzen“, dann begreift man, um welch eine harte, lebensfeindliche, geradezu mörderische Landschaft es sich handelt. In diesem einen Sprach-Bild hat Maryam Motallebzadeh die Quintessenz der Landschaft zusammengeballt.

Ganz in die Abstraktion gehen die „Block-Bilder“. Blöcke, Quadrate, das ist ein Thema das Maryam Motallebzadeh schon lange Zeit verfolgt, immer neu durchdenkt und variiert. Das Quadrat ist eine ausschließlich menschliche Form, in der organischen Natur kommt sie nicht vor, höchstens im kristallinen Bereich. Mit dem Quadrat, dieser perfekten Form, verbindet sich der Begriff der Ordnung. Ordnung, ein durchaus zwiespältiger Begriff. Ordnung im Gegensatz zum Chaos, dem Wirren, Verwirrenden, das ist durchaus positiv besetzt. In diesem Zusammenhang bedeutet Ordnung Innere Klarheit, Strukturiertheit, Selbstbehauptung. Wie bei fast allen Dingen im Leben kommt es aber auch hier auf das rechte Maß an, jedem ist klar, dass zu viel Ordnung auch in die Erstarrung führen kann, dann wird die Ordnung zur Zwangsjacke, welche die individuelle Entfaltung und Freiheit beengt oder unterbindet. Das ist persönlich wie gesellschaftlich-politisch so. Jede Diktatur reklamiert für sich, Vertreterin der Ordnung zu sein. Das Verhältnis von Ordnung und persönlicher Freiheit, oder auch persönlichem Chaos, ist für jeden eine wichtige Frage. Für eine Künstlerin ist es aber existentiell, genau den richtigen Punkt zu finden, wo das „kreative Chaos“ in die „produktive Ordnung“ übergeht, denn Kunst entsteht genau an dieser Schnittstelle.

Maryam Motallebzadeh ist auch Keramikerin. Der damalige Rektor der Hochschule für Künste, Jürgen Waller hat seit Jahrzehnten in Südfrankreich ein Atelier, zwischenzeitlich gab es auch ein Gästehaus und die Studierenden der Hochschule hatten die Möglichkeit, fast umsonst für Wochen oder gar Monate in einem kleinen Künstlerort namens Vallauris zu arbeiten. Vallauris liegt in der Nähe von Antibes und ist in den 50-er Jahren von Pablo Picasso entdeckt worden. In der Nähe gab es Ton-Vorkommen und Vallauris hat sich zu einem Ort der Keramiker entwickelt, es gibt dort inzwischen dutzende von Ateliers. Maryam Motallebzadeh hat damals die Chance genutzt und hat lange an der Côte d’ Azur gearbeitet – die Teller und Keramiken sind in den Vitrinen besichtigen Im dreidimensionalen Bereich kam später noch eine weitere Werkgruppe dazu. Am Meeresstrand findet sich immer Treibgut, Holzstücke, durch Kiesel und Salzwasser glattgeschliffen. Diese Fundstücke hat Maryam Motallebzadeh irgendwann für sich entdeckt, eben „gefunden“. Sie lässt sich von der Form dieser Fundstücke inspirieren, sucht, was „in ihnen steckt“ und holt diese Substanz in einem Prozess behutsamer Bearbeitung heraus. Dieses Verfahren hat durchaus Ähnlichkeiten mit ihren Reisebildern, auch da geht es ja darum, das Charakteristische, die „Quintessenz einer Landschaft – oder eben eines Objektes – zu erfassen und herauszuarbeiten.

Sie verfolgt mit ihren Holzarbeiten aber noch eine andere Absicht, die sie auch als Dozentin in mehreren Kursen weitergibt. Es geht ihr darum, die Teilnehmer zum Sehen anzuhalten. Genau hinschauen, sich vertiefen, nachdenken und vielleicht sich selbst finden durch den Akt der produktiven Aneignung, eben durch Kunst. Dieses genaue Hinsehen war noch nie selbstverständlich, aber in den Zeiten einer kontinuierlichen Reizüberflutung durch Internet, Handys, Smartphones ist es mehr den je zu einer Haltung geworden, die man mühsam und konzentriert erst wieder lernen muss.

Maryam Motallebzadeh ist auch ein politischer Geist.

„Diesseits des Schleiers“ – so der Titel dieser Ausstellung, und damit positioniert sie sich als ein Teil des anderen Irans oder genauer Persiens. Maryam Motallebzadeh ist in Deutschland nicht im Exil, sie hat noch Kontakte in die alte Heimat, ist auch immer wieder im Land, aber wie sie ihre Heimat sieht, das kann man in dem Gemälde „Persischer Garten“ studieren.

Wir sehen durch hohe Gitterstäbe in einen Garten, hohe Eisengitter, so wie sie einen alten Park umgeben, man kann aber auch an Gefängnisgitter denken. Der Park dahinter ist in die Farben Grün, Weiß und Rot getaucht, die Farben der Islamischen Republik und das rote Staatssymbol weist ganz eindeutig darauf hin. Rund um das Gemälde verläuft ein roter Rahmen, in einem dunklen, rissigen Rot, das an getrocknetes Blut denken lässt. Wenn man sich zurückerinnert an die Meldungen von 1979, an das Jahr der Revolution und die Zeit der brutalen Abrechnungen, an die finsteren Geschichten, die man heute aus den Gefängnissen hört, dann wird klar, was gemeint ist. Es gibt aber auch viel grüne, wilde Vegetation auf diesem Bild, Kletterpflanzen, die sich die Gitterstäbe emporranken, in wilden, freien, vernetzten Formen. Sie sind grün – so grün wie die Grüne Revolution, die vor zwei Jahren mutig aber vorerst erfolglos gegen das Regime angegangen ist. Träger dieser Bewegung sind junge Leute, Künstler, Intellektuelle.

Es ist ein Bild, in dem viel Bedrückendes steckt, auch viel Sehnsucht nach diesem alten herrlichen Park hinter dem hohen Gitterzaun, aber auch viel Hoffnung. Und es ist – man muss das deutlich und voller Hochachtung sagen – es ist ein sehr mutiges Bild!

In ihrer Kunst zeigt uns Maryam Motallebzadeh einen anderen Iran, ein anderes Persien, jenseits der oft bedrohlichen Meldungen in den Nachrichten, eben das Land „diesseits des Schleiers“. Als Künstlerin schlägt sie eine Brücke, und damit ist sie tatsächlich eine Botschafterin zwischen den Kulturen, eine Botschafterin zwischen Orient und Okzident.

Ralf Schneider

Pressearbeit der Hochschule für Künste Bremen

 

Ausstellung (Inja va Anja) Hier und Da

In der Galerie 149 Bremerhaven

2.Oktober 2010

Begegnen heißt sich austauschen, dazulernen, sich für etwas Neues öffnen und sich darauf einlassen. Dieses offene Begegnen ist ein wichtiger Bestandteil in den Arbeiten von Maryam Motallebzadeh auch in ihrer neuen Installation in Bremerhaven verbindet sich Neues mit bereits Erfahrenem.

Geboren ist Maryam Motallebzadeh im Iran, im Alter von 39 Jahren kam sie mit ihrer Kunst nach Deutschland, genau genommen nach Bremen. In Bremen studierte sie an der Kunst Hochschule, arbeite weiter als Künstlerin und organisierte auch Projekte mit anderen Künstlern, die zum Teil in Aktionen im öffentlichen Raum endeten.

Das Material folgt bei ihr immer auf die Idee, so entstehen Werke auf unterschiedlichsten Arten. Mal macht sie Videos, mal organisiert sie eine Performance, mal malt sie oder ein anderes Mal lässt sie eine große Installation entstehen die beinahe den ganzen Raum einnimmt.

Als Maryam Motallebzadeh nach Bremen kam, wechselte sie nicht nur ihr Land, sie ließ sich ein auf ein Leben in einem neuen Land, eben auf eine neue Kultur. Sicher war dies eine anstrengende Umstellung in ihrer Lebensreise, aber nicht die Einzige. Sie liebt es sich auf die neuen Herausforderungen und andere Kulturen einzustellen. Das damit verbundene Reisen ist ein wichtiges Thema und auch hier in der Galerie 149 wiederzuentdecken.

In ihrem künstlerischen Schaffen beschäftigt sie sich mit zwei aneinander festgemachten Polen, es um die Bewegung und die Gegenbewegung, es geht um Fließendes und Starres. Dabei geht es nicht um eine Wertung der beiden, denn beides bedingt sich gegenseitig. „Die Bewegung ist immer etwas das sich verändert, auf das man sich einstellen muss, die Gegenbewegung ist das Feste, an dem man sich kann orientieren“, erklärt sie. Dabei muss nicht immer alles sichtbar sein, es geht ebenso um Gefühle, Emotionen in bestimmten Momenten, in denen man selber fließt oder auch einfach mal ruhen möchte.

Maryam Motallebzadeh interessiert sich für das Neue, neues Entdecken – Kennenlernen. Bremerhaven ist für sie ebenso eine neue Erfahrung, aus der sie auch gleich wieder die ersten Inspirationen nimmt. Auch wenn sie die Seestadt schon vor dieser Ausstellung besucht hat, nimmt sie diese Ausstellung zum Anlass sich in ihrem Werk mit dem hier Erlebbaren auseinander zu setzen. Wie auch in anderen Werken in dieser Ausstellung spielen die emotionalen Erfahrungen eine wichtige Rolle.

Ein großes Boot bildet den Mittelpunkt oder eigentlich auch den Anfangspunkt der Ausstellung oder noch besser der Reise durch die Galerie. Nicht nur in der Hafenstadt Bremerhaven weiß man, dass ein Boot viel mehr ist als ein Fortbewegungsmittel oder ein Transportmittel für die schwere Fracht in entlegene Orte – das Boot steht für die Seefahrt, es bedeutet Sehnsucht nach Neuem, sich treiben lassen, Neues entdecken, sich aufmachen, aber auch wiederzukehren. So steht das Boot auch für vieles im Leben der Künstlerin, es verweist auf ihre Reisen in die fernen Länder oder ihre Lebensreise, die Sehnsüchte, das Fernweh, das Orientieren, das Entdecken.

In ihren Installationen verbindet Maryam Motallebzadeh ihre Vorliebe für die Schrift mit der Sehnsucht des Bootes. Beides fügt sich auf wunderbare Weise in einander. Die Schriftbahnen fließen in das Boot hinein und wieder heraus, wie eine Welle, die in das Boot schwappt und wieder heraus in den Raum fließt. Viele Meter Papier hat sie beschrieben, mit spontanen Ideen oder für sie bedeutenden Schlagwörtern. Wie ein Boot vom Meer, wie ein Mensch von den Eindrücken der Welt, ist das Gefährt umgeben von Schrift. Auch hier gilt: Alles ist in Bewegung, alles bleibt in Bewegung.

Deutlich wird auf den Schriftbahnen die Lebensgeschichte von Maryam Motallebzadeh. Sie schreibt nicht nur in Farsi, sondern auch auf Deutsch, sie verbindet beide Schriften miteinander, wie sich auch in ihr die beiden Kulturen verbunden haben. Sie schreibt was ihr in den Kopf kommt, „gefangene Momente sagte sie“, Gedanken die vorbeizogen hielt sie auf den dünnen Papierbahnen fest, einige Wörter daraus: Erfahren, Stille, wahrgenommen werden, Wert, Gewohnheit, Bewusst, Schicksal.

Wenn der Betrachter seinen Blick über das Boot und die Schriftwellen schweifen lässt fallen ihm Knoten auf. Diese erinnern nicht nur an die Geschwindigkeit bei Schiffen oder an die Vielzahl von Seemannsknoten oder gar Seemannsgarn – Maryam Motallebzadeh dazu: „Knoten sind ein Symbol für die Verbindung und die Vernetzung, wie auch ein Boot eine Verbindung ist von einem Ort zum anderen. Knoten sind Verbindungen, aber auch Glückbringer, wenn man sie öffnet, denkt man zum Beispiel an das Geschenkband“.

Schrift und Bänder genäht oder verknotet finden wir wieder in der Stoffarbeit an der Wand, darunter stehen rote Schuhe, die ebenfalls beschrieben sind. In dieser Arbeit wird die Schrift durch die grünen durchsichtigen Stoffe hervorgehoben und die roten Schuhe fangen ebenfalls den Blick des Betrachters ein.

Im vorderen Bereich der Ausstellung hält sie sich mit den Farben zurück, sie bilden nur einige Akzente auf den Schriftbahnen. Anders ist es wenn wir in die anderen Räume weiterreisen.
„Hier und da“ ist der Titel. Eben das ist der Inhalt vom Reisen. Mit dem Boot beginnend geht die Reise weiter in die nächsten Räume. Dort verdichten sich die Eindrücke der Reisen, die Maryam Motallebzadeh unternommen hat. Dort begegnen wir der Kälte des russischen Winters oder das warme Gefühl beim Anblick der Blumen im marokkanischen Frühling, mal ist eine leichte Feder zu entdecken, mal ein sattes Waldgrün.

Auf die Leinwand malt Maryam zunächst ein Netz. Ihre Erfahrung, ihre Reisen, ihre Begegnungen vernetzen sich zu einem Ganzen. Das Netz ist ein wichtiger Bestandteil des Lebens und der Menschen, nicht nur die sozialen Netzwerk, selbst unser Körper besteht aus einem Netz von Ader sagt Sie. Das gemalte Netz oder eingearbeitete Schriftzeichen lassen sich in den Werken finden.

So begeben Sie sich auf die Reise und begegnen den Werken von Maryam Motallebzadeh.

Maren Meier

Kunstwissenschaftlerin

In den Arbeiten von Maryam Motallebzadeh geht es um Fläche und Abstraktion, in der Thematisierung der persischen Schrift um ihre kulturellen Wurzeln, um Bindungen an die iranische Heimat. Auf manchmal sehr großformatige, durch mehrere Farbschichten fein abgestimmte und tiefgründige Farbfelder „schreibt“ sie mit breitem Pinsel persische Schriftzeichen, philosophische Elementarbegriffe wie „Ich“, „Du“, „Wahrheit“, „Gott“, „Nichts“ oder die Frage „Wohin“. Farsi bedeutet für Maryam Motallebzadeh kulturelle Identität und die kalligraphische Schönheit dieser Schrift bleibt für sie ein unerschöpflich reizvolles Motiv. Doch gleichzeitig drängt es sie auch zur Befreiung aus dem Normativen der Schriftzeichen. Diese Befreiung ergab sich wie von selbst, denn die Hauptbestandteile des Farsi sind wie im Arabischen der Punkt und die geschwungene Linie, und um das Verhältnis von „Punkt und Linie zu Fläche“ (Kandinsky, 1926) kreist das „Bildnerische Denken“ (Klee) in der abstrakten graphischen Kunst. So entließ Maryam Motallebzadeh z.B. das aus einer geschwungenen Linie und einem Punkt bestehende Wort „Ich“ aus seiner Zeichenhaftigkeit in ein Farbfeld, in dem es sich als Horizontlinie und Gestirn zur elementarsten Form der Landschaft streckte. Das gelöste, im Farbraum sich neu formierende Zeichen wird in diesem Prozess zur Metapher des sich in seinem Verhältnis zur Welt reflektierenden Ich.

In den meisten ihrer zweiteiligen Bilder liegen über den sich aufschwingenden Linien und Punkten als drückend empfundene Farbtafeln, die für Maryam Motallebzadeh die Schwere einer Lebenslast symbolisieren.

In anderen Arbeiten sind dagegen Reihen von dunklen Rechtecken über kleinteilig strukturierten Flächen, Zeichen einer Ordnung, die Maryam Motallebzadeh aus ihrer manchmal als chaotisch empfundenen Existenz anstrebt. Dabei geht es ihr natürlich nicht um Unterordnung, sondern um die Sehnsucht nach einer lebendigen Strukturierung, weshalb sie diese Bilder nicht mit Pinsel oder Spachtel, sondern mit bloßen Händen ‚malt‘.

Auch wenn das alles sehr programmatisch klingt, sind für Maryam Motallebzadeh Intuition und Zufall wichtige Elemente der Gestaltung, die z.B. im Arbeiten mit geschlossenen Augen zum Zuge kommen und in den herunterlaufenden Farbtropfen sinnfällig werden. Häufig bedeuten ihre Linien emotionale Schwingungen, ihre Farbräume emotionale Tiefe und auch Strukturen können Gefühle ausdrücken, wie in jenem zweiteiligen Bild, das nach einer kalten Zugfahrt entstand. Der Kälte spürt sie in der mit den Händen aufgetragenen Farbe nach, deren Ton und Struktur den Eindruck von Raureif hervorrufen, während die kleinere, grünliche Farbtafel das im Abteilfenster verwischte Bild der Landschaft erinnert.

Zusammenfassend kann man die Malerei von Maryam Motallebzadeh beschreiben als eine sehr eigenständige Position zwischen Kalligraphie und abstrakter Zeichnung, in der im Umspielen der Grenzen zwischen Zeichen und freier Form, zwischen Konzeption und emotionaler Geste, über das formale Experiment hinaus, ein zurückhaltendes Ich sich in seinem Verhältnis zur Welt befragt.

Regina Gramse, im Oktober 2003

(Kunsthistorikerin)

 

Kinetik ist die Bezeichnung für die physikalische Bewegungslehre. Das Betrachten des Verhältnisses von Bewegung und Gegenbewegung ist ein wichtiger Schwerpunkt der künstlerischen Tätigkeit von Maryam Motallebzadeh. Sie hat ihre Arbeit als Bildende Künstlerin in Teheran begonnen, erhielt als Dreizehnjährige den Kunstpreis „Hadaf“ für Malerei und hatte seit 1979 verschiedene Ausstellungen in Teheran, darunter unter anderen auf der Biennale für Malerei im dortigen Museum für zeitgenössische Kunst oder auch Einzelausstellungen in verschiedenen Galerien. Sie war im Folgenden an internationalen Kunstausstellungen beteiligt, in Thailand, Norwegen und auch in Deutschland. Im Jahr 2002 trat sie als Angehörige der Hochschule für Künste in Bremen mit ersten Audioinstallationen (das John-Cage-Projekt „Sprechender Baum“) und Performances an die Öffentlichkeit. Es folgten Projektausstellungen mit internationaler Künstlerbeteiligung, z.B. „Woanders“ in der Villa Ichon. Erfolgreiche Videoproduktionen wie „Meine Hände“ und „Zweie“ und schließlich Entwürfe und Realisierungen für Rauminstallationen (Internationales Symposium, 2005) charakterisieren gegenwärtige Entwicklungen.

Für Frau Motallebzahdeh ist nach eigener Auskunft ein inhaltlicher Beweggrund für ihre Malerei und Konzeptionen das Verhältnis von Schriftzeichen und Ordnungssystemen (Blöcken). Menschliche Verständigungsleistung wird durch Übereinkunft im Allgemeinen logisch und symbolisch geregelt. Frau Motallebzadeh nähert sich dieser Leistung intuitiv an. In ihren Audioarbeiten widmet sie sich dabei besonders der internationalen Verständigung, in ihren Filmen den individuellen Erfahrungen von Interkulturalität und kultureller Differenz. Die Konzeption „Bewegung in einem Block“ kombiniert diese in den Bereichen bildender, auditiver und audiovisueller Kunst gewonnenen Erfahrungen.

Reiner Matzker

Das Multi-Media-Zeitalter hat alles vernetzt, alles erreichbar und die Welt zum Dorf gemacht. Aber es hat auch dazu geführt, dass der Mensch mehr und mehr das Sehen verlernt. Das ist die Überzeugung von Maryam Motallebzadeh. Die persische Künstlerin lebt seit 1999 in Bremen. Mit einem neuen Projekt will sie helfen, das Sehen wieder zu erlernen, auch natürliche Dinge neu wahrzunehmen und frei zu assoziieren.

„Die Dinge sind vorhanden. Aber viele Menschen erkennen sie nicht. Dabei braucht man nur etwas Aufmerksamkeit. Wer sich bemüht, zu  sehen, der findet auch“, sagt Maryam Motallebzadeh. Ihr neues Projekt trägt den Titel „Ein Stück Holz. Zwischen Natur und Skulptur“ und birgt auch einen Teil Persönlichkeit der Künstlerin, die in Teheran mit 13 Jahren zu malen begann. Der Grundstein für ihre Holzobjekte wurde bei einer Reise mit Freunden ans Kaspische Meer gelegt. Beim Lagerfeuer am Strand wurde Maryam Motallebzadeh auf die interessanten Formen der Treibholz-Stücke aufmerksam. Sie begann, einzelne Teile zu sammeln und künstlerisch zu bearbeiten. „Damals habe ich sehr viel figurativ gezeichnet und gemalt“, erinnert sich die Perserin.

An ihren Erkenntnissen vom Kaspischen Meer will sie jetzt die Bremer teilhaben lassen. Im Rahmen der Volkshochschule bietet Maryam Motallebzadeh Interessierten Exkursionen an, um Fundstücke in der Natur aufzuspüren, Treibholz, interessant geformte Wurzeln oder trockene Äste, aus denen in einem weiteren Schritt Skulpturen entstehen können. Eine wichtige Rolle spielt dabei die individuelle Annäherung an den noch nicht künstlerisch bearbeiteten Gegenstand. Teilnehmern, sollen unbekannte ästhetische Deutungen bewusst werden. Zeichnungen sollen Assoziationen vertiefen. Nach dieser „Vorarbeit“ entstehen die Holzfiguren. Gearbeitet wird in der Landschaft und im Atelier. Die Teilnehmer tauschen sich gegenseitig über ihre Erlebnisse aus. Schließlich sollen die Objekte und Skulpturen in einer Ausstellung präsentiert werden, deren Thema auch die Ideen und Prozesse sein werden.

„Kinder wachsen heute mit dem Computer auf. Sie beherrschen die neuen Medien perfekt. Aber nicht selten ist die Folge der Mediengesellschaft Isolation. Die globale Kommunikation hat nicht nur Nähe, sondern auch Distanz geschaffen,“ sagt Maryam Motallebzadeh. Mit „Ein Stück Holz. Zwischen Natur und Skulptur“ will sie einen Schritt gegen die Reizüberflutung durch das Multi-Media-Überangebot tun. Die Perserin ist davon überzeugt, dass eine Person, die ihr Sehen schult, auch findet. Als nächster Schritt folgt das Nachdenken. Und dann im Idealfall Reflexion und Selbst-Finden durch künstlerische Beschäftigung.

Maryam Motallebzadeh, hat in Bremen Kunst studiert. Ihre Bilder, Installationen und Kurzfilme sind auf zahlreichen nationalen und internationalen  Ausstellungen gezeigt worden, unter anderem in Bremen, Teheran, Bangkok, Stavanger und Barcelona.

Die Künstlerin hat früher in ihrer Galerie im Iran und später im Bremer Atelier privat Interessenten in Malerei unterrichtet. Jetzt wendet sie sich unter dem Dach der Volkshochschule mit dem Projekt „Ein Stück Holz. Zwischen Natur und Skulptur“ erstmals an die allgemeine Öffentlichkeit.

Klaus Alschner

Journalist

 

Kunst an der Schlachte

16. November 2006 bis 16. Februar 2007

Maryam Motallebzadeh
Der schweigende Mantel

„Unsere Kleider dokumentieren unser Befinden“, sagt die Künstlerin, „sie zeigen, wie wir uns bewegen, gehen oder sitzen, lassen deutlich werden, wie wir uns fühlen.“ Sie verweisen auf unseren Geschmack. Roland Barthes hat von der Sprache der Kleider gesprochen, einer Grammatik der Bekleidung und Mode. Die Fülle dieser Sprache begegnet uns dort, wo wir Menschen treffen, hier wie in allen Ländern dieser Erde, gestern wie morgen.

Der Mantel schweigt. Das ist seine Sprache. Alle Mäntel schweigen. Doch sein Schweigen ist ein besonderes Schweigen. Es ist das Schweigen der verordneten Verstummung, ein uniformiertes Schweigen. In ihm stecken verletzende Splitter. Sie reflektieren Ausstellung und Betrachter.

Auf den Wänden die Last der Gedanken. Kaskaden an Schriftzeichen zieren die Zeichnungen der Künstlerin, das zarte Papier von groben Filzschreibern durchtränkt, verletzt, tätowiert. Die einsamen Verbindungen des von kultureller Differenz geprägten Seelenlebens werden sichtbar. In persischer Schrift, in kleinen symbolischen Skizzen oder auch in den lateinischen Buchstaben der fremden Sprache enthüllen sich Momente des Verstummens. Man könne verstehen, sagt die Künstlerin; aber man müsse sich um Verständnis bemühen. Die Betrachtenden werden auf sich selbst verwiesen. Verstehen wird zum Erlebnis, gerade dort, wo selbst neue Schriften entstehen, neue Verständigungsformen.

Bezogen auf die assoziativ und strukturell „erfundenen“ Schriftzüge gewinnen die am Rande des Environments zu betrachtenden Gemälde an Bedeutung. Sie spiegeln per se interkulturelle Differenz und Dialogbereitschaft. Zugleich der westlichen Kunstrichtung des Tachismus verbunden, integrieren sie unabdingbar die Elemente der Tradition, in der sie entstanden sind.

Das Informell, das nichtformale Betrachten des Verhältnisses von Bewegung und Gegenbewegung ist wichtiger Schwerpunkte der künstlerischen Tätigkeit von Maryam Motallebzadeh. Sie hat ihre Arbeit als Bildende Künstlerin in Teheran begonnen, erhielt als Drei-zehnjährige den Kunstpreis „Hadaf“ für Malerei und hatte seit 1979 verschiedene Ausstellungen in Teheran, darunter unter anderen auf der Biennale für Malerei im dortigen Museum für zeitgenössische Kunst oder auch Einzelausstellungen in verschiedenen Galerien. Sie war im Folgenden an internationalen Kunstausstellungen beteiligt, in Thailand, Norwegen und auch in Deutschland. Im Jahr 2002 trat sie als Angehörige der Hochschule für Künste in Bremen mit ersten Audioinstallationen (das John-Cage-Projekt „Sprechender Baum“) und Performances an die Öffentlichkeit. Es folgten Projektausstellungen mit internationaler Künstlerbeteiligung, z.B. „Woanders“  in der Villa Ichon. Erfolgreiche Videoproduktionen wie „Meine Hände“ und „Zweie“ und schließlich Entwürfe und Realisierungen für Rauminstallationen (Internationales Symposium, 2005) charakterisieren gegenwärtige Entwicklungen.

Reiner Matzker

Galerie Herold

Ausstellung 1.12. – 21.12.2006

Maryam Motallebzadeh – Malerei und Videoprojektion“ Der Zug fährt“

„Der Zug fährt“ ist der Titel einer Serie von Bildern, in denen Reihungen von dunklen Rechtecken in vielschichtige Farbfelder eintauchen, die fein strukturiert sind. Die Tiefe des Farbraums und die unscharfen Konturen der Formen zeigen mögliche „ Ordnungs-Systeme“ die in Bewegung sind und eine hierarchische Erstarrung verweigern. Die Betonung von Horizontale und Vertikale und starke Farbkontraste verleihen den Bildern eine große Präsenz.

Über diese Formfindung sagt die persische Künstlerin: sie gehe unter anderem auf die Erinnerung an eine lange, kalte Zugfahrt zurück. Durch das beschlagene, halb durchsichtige Fenster sah sie die Landschaft und Städte mit Ihren Baumgruppen, Hausfassaden und Masten vorbeiziehen. Die unterschiedlichen Formen wurden durch die horizontale Bewegung des Fahrens vereinheitlich und ergaben dem Eindruck von „ Blöcken in Bewegung“.

Der Zugfahrt im Raum verbindet sich mit der Vorstellung der Zeit, der eigenen Lebensreise, die auch immer neu geordnet werden muss. Abstrakte Formen und auch die Farbräume sind assoziative aufgeladen, ohne sich als eindeutige Behauptung aufzudrängen.

Die Kalligrafie des Farsi ist eine weitere lebendige Quelle für die in Bremen lebende Künstlerin. Mit breiten Spachteln und Pinseln setz sie einzelne Worte: „ Ich, Du, Wohin, Nein“ auf große Papierbahnen, teils durch nur als Fragmentarischen Ausschnitt,

dies betont den Charakter der gestischen Zeichnung. Die grafischen Elemente der iranischen Schrift sind die kreisende Linie und der Punkt.

Auf diesem Hintergrund und der Erfahrung abstrakter Gestaltung der westlichen Moderne (Paul Klee), entwickelt Maryam Motallebzadeh eine Bildwelt, in das Inhaltliche der Sprache und Zeichen von der Suche nach visueller Balance überlagert wird.

Auch die Schatten eigenen Locken können zum auslösendem Moment des Schreibflusses werden, so in der Serie von „Notwendigen Briefen“.

Das Motiv der Bewegung im Bild weist voraus auf die aktuelle Arbeit mit dem Medium Video. Der Kurzfilm „Zweie“ kontrastiert Felsen und Wellen, des Kampf der Naturgewalten, mit Rolltreppen, Gleisen und der Zugfahrt in eine andere Welt, in einen Übergangsraum, gekennzeichnet durch reduzierte Möblierung: Bett, Koffer, Waschbecken, Spiegel. Diesen Raum Strukturiert die Reisende in einem Prozess der Selbstvergewisserung.

Vielzeilige raumhohe Papierbahnen, meist in Farsi, teils in Deutsch beschrieben, bedecken allmählich alle Wände. Der innere Dialog breitet sich weiter aus über Kleider, Schuhe und Bettdecke, über der eine schwarze Kugel schwebt, weiß beschriftet, Persisch und Deutsch.

Eine Moschee in Teheran wird sichtbare Erinnerung. Das Zoom auf die Fenster zeigt eine Bremer Bahnhofs Situation, darüber eingeschrieben. Ein Zitat der Künstlerin „ Bleib Still, der Zug fährt, mach Deine Augen zu und atme mit mir“. Die Reisende geht, den Koffer in der Hand, an den Gleisen entlang. Der Transitraum der Ankunft in einer anderen Welt, macht die Ambivalenz des Eigenen und Fremden erfahrbar.

Uwe Teichmann

 

Maryam Motallebzadeh

Der Zug fährt – Malerei und Videoprojektion

Zur Eröffnung der Ausstellung am 1. Dezember 2006

Wer den Raum betritt, wird sich über den Titel der Ausstellung wundern: Der Zug fährt. Man sieht, von Farben belebte Rechtecke, von Zügen keine Spur. Erst das Video mit dem Titel Zweie, dessen Projektion im letzten Raum läuft, greift das Motiv der Bahnreise auf.

Dem aufmerksamen Betrachter der gemalten Bilder wird auffallen, dass die Lebhaftigkeit der Farben mit dem normativen Anspruch der Rechtecke, Quadrate und Raster kontrastiert. – Auf dieses Spannungsverhältnis kommt es an: die Polarität von Starre und Bewegung hat in dem bildnerischen Denken von Maryam Motallebzadeh – vermittelt durch sehr persönliche Erfahrungen und Assoziationen – Bezüge zur Eisenbahn.

LEBENSREISE

Der Zug / die Eisenbahnreise hat sich als metaphorische Begrifflichkeit tief in unsere Sprache eingeprägt:

– „der Zug der Zeit“ – „der Zug der Gefangenen, der Zug der Demonstranten“ – „die Weichen stellen“ – „ausrangieren“ oder „mit großem Bahnhof empfangen“; – „der Zug ist für mich abgefahren“ – „auf den falschen Zug aufspringen“ – „im falschen Zug sitzen“ – und wenn gar nichts mehr geht: „Bahnhof verstehen“.

Viele der alltagssprachlichen Wendungen berühren das Thema der Lebensreise – das kollektive Verkehrsmittel Eisenbahn bietet sich als Metapher für das Leben an. Unser persönliches Segment im Zug der Geschichte ist das Abteil. Die unterschwelligen, gleichförmigen Fahrgeräusche sind wie das in natürlichen, organischen Rhythmen pulsierende Fließen der Zeit. In diesem Takt strömt die Welt in unerreichbarer Fülle am Fenster vorbei. Das Abteilfenster begrenzt das Gesichtsfeld: sein Carre eignet sich zum summarischen Symbol jener materiellen und ideellen Raster, die das Leben strukturieren. Nur jenseits des Rasters – wie jenseits des Fensters – ist wirkliche Lebendigkeit.

Migration kompliziert die Lebensreise: man steigt um in einen anderen Zug. Die „Mitreisenden“ und ihre Lebensweise sind fremd. Das neue Abteilfenster ist ein neuer Rahmen für neue Blicke auf eine fremde Kultur-Landschaft. Jenseits des Fensters liegt die Möglichkeit einer erweiterten kulturellen Identität.
Jetzt gilt es, am Abteilfenster einen Moment innezuhalten, sich dem Puls der Lebensreise zu überlassen, einen Moment nichts als Leben zu spüren: Bleib still.

Der Zug fährt, mach deine Augen zu und atme mit mir. Diesen Satz schrieb Maryam auf das Fenster, das in dem Video Zweie ein Abteilfenster vertritt.

Das Abteilfenster in seiner metaphorischen Bedeutung einer Schnittstelle zwischen Enge und Weite, Beschränkung und Freiheit, eigener und fremder Welt ist der Ausgangspunkt für ihre fast obsessive Arbeit mit Blöcken und Rastern:
In den Rechtecken und Quadraten spielt sie die Lebendigkeit der Farben gegen das genormte Format aus: mit wechselnder Intensität und Ausdehnung einzelner Farbtöne, mit Dissonanzen oder mit Strömen von farbigen Linien und Verlaufsspuren. Unregelmäßig gemalte Rechtecke rebellieren gegen die Regelmäßigkeit des Bildfeldes. So werden mit diversen formalen und malerischen Mitteln Momente der Spannung und des Ausgleichs zwischen ordnender Strukturierung und lebendiger Bewegung umspielt.

Bei dem Bild Blaue Regen bringt der Titel die Differenz zwischen dem Raster und Leben spendenden Wasser ins Spiel der Assoziationen. Das Bild hat für mich auch etwas von einem Abteilfenster: der Zug steht vor einem Hochhaus, es ist dunkel, auf der teilweise beleuchteten Scheibe werden Regentropfen sichtbar, die am Fenster herunterlaufen.

Ich hoffe, so weit ungefähr erfasst und vermittelt zu haben, in welchem Sinne die Metapher der Bahnreise in der künstlerischen Arbeit von Maryam Motallebzadeh bedeutsam ist. Gedanken über die Polaritäten von Leben und Tod und über das Unterwegssein zwischen den Kulturen sind jedenfalls darin aufgehoben.

Die Auseinandersetzung mit dem Thema der Bewegung führte Maryam zur Arbeit mit seriellen und schließlich mit bewegten Bildern und es entstanden bisher zwei Videos:
Das Video Meine Hände handelt von der Migrationsthematik in Naturmetaphern, während der nachfolgende Film Zweie wieder mit dem Eisenbahnmotiv arbeitet – auf das ich in diesem Zusammenhang nicht noch einmal eingehe, um es nicht völlig zu zerreden. Stattdessen möchte ich Maryams Arbeit mit Schriftzeichen ansprechen, die in dem Film eine besondere Rolle spielen und die ein grundsätzlicher Aspekt ihrer künstlerischen Tätigkeit sind.

LOCKEN UND SCHRIFT

Als eine ihrer Locken, deren Ende sich zu einem Kreis schloss, einen Schatten auf Papier warf, zog Maryam die Linien nach, schnitt sie ab und ergänzte sie mit einem Punkt zu dem persischen Zeichen für das Wort „wohin“. So begegneten sich auf dem Papier, in der Formanalogie von Schrift und Locke, die Sprache und das biologische Merkmal der dunklen, extrem und gleichmäßig gekräuselten Haare, womit sich gleichsam die Identität zwischen dem Individuum und seiner uralten Kultur bestätigt – gemeinsam fragen sie: „Wohin?“

So kam die Schrift aus dem Kopf auf das Papier, in die Bilder und besetzte nicht nur im Video, sondern auch an anderen Orten als Installation ganze Räume. Die Schriftzeichen wurden für Maryam zu einem zwischen Bedeutung und Abstraktion mäandernden Bildmotiv, in dem sich die Fragen nach dem Woher und dem Wohin der Lebensreise durchdringen.
Die Linien und Punkte der persischen Schrift wurden allmählich – mit Stift und Pinsel – zu lebendigen und offenen, weil frei sich bewegenden Spuren kultureller Identität. Wo sie sich in der Malerei mit der universalen Sprache der Farben verbinden, werden sie interkulturell lesbar. In den großformatigen, auf Papier gemalten Bildern, die Maryam Notwendige Briefe nannte, sind von den Schriftzeichen des Farsi nur die lockigen Schwünge erhalten, mit denen sich im Winterbrief die Gestik der Schreibenden durch frostige Kälte windet. Die Kälte – reale oder metaphorische – evozieren die Farben, unter die sich, je nach Standort, ein verheißungsvolles, silbriges Schimmern mischt.

Regina Gramse

(Kunsthistorikerin)

 

Zweie

Ein Film von Maryam Motallebzadeh

Johann Wolfgang von Goethe fühlte sich dem persischen Dichter Mohammed Schemseddin Hafiz seelenverwandt. Seine Verehrung drückt er in seinem „Divan“ (1814-1836) aus: „Wer sich selbst und andre kennt, Wird auch hier erkennen: Orient und Okzident Sind nicht mehr zu trennen. Sinnig zwischen beiden Welten Sich zu wiegen, laß ich gelten …“ Noch 1798 hatte Goethe in den prophetischen „Weissagungen des Bakis“ über die schier unüberwindliche Differenz der Elemente nachgedacht. In der fünften Weissagung heißt es: „Zweie seh’ ich! den Großen! Ich seh’ den Größern! Die beiden reiben, mit feindlicher Kraft, einer den andern sich auf …“ Nur die Parze wisse, wer der Größere ist.

„Zweie“, das sind zunächst die Naturelemente, Wasser und Erde, „Felsen und Land, Felsen und Wellen“. Doch der Kampf der Elemente steht nicht für sich. Allegorisch verdeutlicht er politische wie religiöse Konflikte. Der Kurzfilm „Zweie“ der persischen Künstlerin Maryam Motallebzadeh veranschaulicht die Auseinandersetzung im seelischen Erleben zwischen den Welten. Die gegenläufige Rolltreppe, ein Tunnel oder Gleise „beschreiben“ die Irritationen der Ankunft in der Fremde. Es ist der andere Ort, in den der Koffer getragen wird, ein besonderer Ort: Beschriftete Schuhe, Federn auf dem Boden, ein Bett, Schriftzüge auf der Bettdecke, ein weißbeschriftetes schwarzes Negligé. Die Reisende am Fenster ist angekommen; aber sie ist nicht allein. Ihre Reflexion begleitet sie, ihre Kultur, ihre Geschichte, ihre Tradition. Mit verknoteten Bändern äußern sich Wünsche und Erinnerung. Grün und Rot. Sehnsucht und Verbot. Eine Moschee in Teheran erscheint wie ein sichtbarer Gedanke. Die beschriebenen und angehefteten Tapeten enthüllen Denkvorgänge. Die verschiedenen Schriftzeichen vermengen sich wie die Gedankenwelten – Persisch und Deutsch. In der Türöffnung befindet sich ein Spiegel. Das „Leben in zwei Sprachräumen“ wirft den Einzelnen auf sich selbst zurück – bis tief in den Schlaf. Die Einheit beider Kulturen ist eine über dem Bett schwebende Kugel, ein schwarzes geometrisches Gebilde mit weißer Schrift, ein Artefakt …

„Bleib still, der Zug fährt, mach Deine Augen zu und atme mit mir“. Der gefilmte Raum gleicht einer Seelenlandschaft. Eine Komposition aus dem Bereich Neuer Musik begleitet die kontemplativen Visualisierungen. Der innere Dialog, das Leben in einer „zweiten Haut“ eröffnen sich. Wer ist der Größere? Wo ist ein Zuhause? Die Sehnsucht nach dem jeweils Anderen ist von bedrückender Schwere. Die Erfahrung der Differenz schmerzt.

Reiner Matzker

 

Meine Hände ein Film von Maryam Motallebzadeh

Ein bewölkter Himmel, eine Möwe und ein Stück Erde, dessen Horizont die ganze Welt bedeutet, bilden eine minimalistische Landschaft. Ein Schrei der Möwe und ein Heartbeat künden organisches Leben an: Hände wachsen über den Horizont, erst tastend, dann grabend, in der Erde badend liebkosen sie sich und das Element. Die Hände beginnen zu pflanzen, begleitet von elementaren Naturgeräuschen, die das Motiv Erde durch Wasser und Luft ergänzen. Im visuellen Rhythmus von Schnitten und Zeitraffer verwandelt sich die Landschaft in eine Blume, die von der Blüte des Lebens erzählt und gleichzeitig Metapher der Vergänglichkeit ist. Sie stirbt und mit ihr die Hände – gemeinsam bilden sie ein Vanitasstilleben, das im Strom des Regens in das Ursprungselement allen Lebens, das Wasser zurückkehrt. Klänge von elementaren Naturgeräuschen bis zur Musik – unterstreichen die inhärente Spannung zwischen Natur und Kultur.
Der Film verknüpft in lyrischer Knappheit und Dichte den Kreislauf individuellen Lebens mit dem Schicksal der Erde. Das wird besonders deutlich mit dem Satz: Ich möchte von Dir Erde, dass Du meinen Händen lieb bist. Die Autorin schreibt ihn in persischer Schrift, mit dunkler auf helle Erde, womit die Erzählung des Films eine Akzentverschiebung von der allgemeinen Mensch-Natur-Beziehung zum Thema der Migration erfährt.

Regina Gramse

(Kunsthistorikerin)